Sylvester 2001 in New York
Das Polizeiaufgebot ist enorm. 7.000 Polizisten sind in der letzten Nacht des Jahres 2001 im Einsatz, um die Bürger und Besucher von New York zu schützen. New York hat mobil gemacht. Kanaldeckel werden versiegelt, Taschen durchsucht, Alkohol ist verboten. Stunden vor Mitternacht haben sich bereits eine halbe Million Menschen am Times Square eingefunden. Für uns ist kein Durchkommen mehr, alle Zufahrten zum Times Square sind weiträumig abgeriegelt.
"Früher haben wir den Times Square den Touristen überlassen. Dieses Jahr ist es unsere patriotische Pflicht, an Sylvester hier zu sein" verkündet ein New Yorker gegenüber der WELT (Ausgabe vom 2. Januar 2002).
Wir laufen mehrere Blocks, kommen vorbei an einem Mahnmal für die Helden der Nation. Erinnerungen an den 11. September. Erinnerungen an 300 Feuerwehrleute, die bei ihrem Versuch, Menschenleben zu retten, ihr eigenes Leben verloren haben.
Für viele ist Sylvester heuer nicht wie sonst. Fast 70 % begehen es zu Hause in aller Stille, mit Freunden, weit weg vom Trubel in den Straßen. Auch Präsident Bush möchte es eher besinnlich angehen. Keine Party im Weißen Haus. Trotzdem herrscht auf den Straßen fröhliches Treiben. Endlich stoßen wir am Broadway auf eine große Sylvesterparty. Auch abseits vom Times Square ist jede Menge los.
Hier ist die Stimmung ausgelassen, so als wäre nie etwas gewesen. Keine Spur von Angst vor weiteren angekündigten Attentaten - zumindest nicht bei den Besuchern.
Die USA lassen sich nicht unterkriegen. Die Devise lautet:
"United we stand". "Unbroken." "Stronger than ever".
"United we stand". "Unbroken." "Stronger than ever".
Die Kontrollen sind eher oberflächlich. Nur große Taschen werden untersucht, unsere Kamerataschen interessieren keinen. Hier sind auch keine Metalldetektoren aufgestellt, von Sprengstoffhunden keine Spur. Und was man alles in einer dicken Winterjacke verstecken kann, darüber wollen wir jetzt gar nicht nachdenken. Hier hätten wir wirklich alles rein gebracht.
Junge Leute tragen eine riesige amerikanische Flagge durch die Menge. "USA! USA! USA!" skandieren sie. Und schaffen es mühelos durch die dichte Menschenmenge bis ganz nach vorne. Patriotismus hat Vorfahrt in diesen Zeiten - auch - oder gerade - an Sylvester. Patriotismus hat Vorfahrt in diesen Zeiten - auch - oder gerade - an Sylvester.
Bei den anwesenden Polizisten herrscht deutliche Anspannung. Wie sollen sie diese unübersichtliche Menschenmenge unter Kontrolle halten? Die Polizei kann nicht überall sein. Polizeihubschrauber patroullieren im 5-Minuten-Takt über der Menge und werden stürmisch begrüßt. Arme fliegen hoch, Jubel bricht aus. Beinahe so, als hätte das Neue Jahr schon begonnen. Und das alle fünf Minuten. Unser Minidiskrekorder zeichnet alles auf. Damit auch unsere Zuschauer etwas davon haben. Wieder "USA! USA! USA!" - Rufe. Viel weiter weg, aber immer noch deutlich zu hören. Die Flagge sehen wir schon lange nicht mehr.
Ein paar Leute tragen bunte Hüte mit der Aufschrift "2002". In den Straßen gibt es sie noch überall zu kaufen De Auswahl ist groß, die Nachfrage scheinbar nicht. Ist die Stimmung nach dem 11. September doch ein wenig gedämpft?
Von wegen! Polizeihubschrauber. Jubel. Arme fliegen hoch. Der Mensch hinter uns trötet wieder fröhlich in seine Sylvestertrompete. Wenn man schon nichts trinken und nicht böllern darf, muss man wenigstens tröten.
"Happy New Year!" ruft ein ganz Voreiliger 10 Minuten vor 12. Wir können es auch kaum noch erwarten. Es ist ziemlich kalt. Und die Polizei wirkt zunehmend nervös. Lieber nicht fotografieren. Sonst ist möglicherweise noch die Kamera weg - oder zumindest der Film mit wertvollen Aufnahmen von der großen Sylvesterparty in New York.
Mitternacht. Endlich. Jubel. Erleichterung. Menschen liegen sich in den Armen. Polizisten klopfen sich gegenseitig erleichtert auf die Schultern. Geschafft. Und es ist alles gut gegangen an Sylvester 2001 in New York. Happy New Year!
Endlich können auch die Männer in den schwarzen Uniformen teilhaben an der ausgelassenen Stimmung, mit der Tausende von Besuchern aus aller Welt das Neue Jahr 2002 begrüßen.
Das Jahr nach Bin Laden, nach dem 11. September, nach dem ominösen Flugzeugabsturz in New York, nur einen Monat und einen Tag nach den Terroranschlägen, ausgerechnet am Veteranentag. Ein technischer Defekt, steht bereits nach drei Tagen fest. So schnell wurde noch nie die Absturzursache eines Flugzeugs geklärt. Dann hört man nichts mehr davon.
Wir haben es geschafft. Das Schreckensjahr 2001 hat ein gutes Ende gefunden.
Happy New Year! God bless America!